Reproduktion von zehn Informationstafeln für das Heinrich-Barth-Haus in Timbuktu, erstellt mit Hilfe des Auswärtigen Amtes

HEINRICH BARTH

Ein Name als wissenschaftliches und kulturenverbindendes Programm

Heinrich Barth (1821-1865) ist hierzulande wohl nicht der bekannteste, aber wissenschaftlich der bedeutendste Afrika-Forscher des 19. Jahrhunderts. Weltweit bauen Geschichtsforschung, Geographie, Sprachwissenschaft und Völkerkunde in Afrika auf seinen Arbeiten auf, als deren Ziel er selbst einmal den "historischen Zusammenhang des Menschen mit der reichen Gliederung der Erdoberfläche" beschrieb.

Geboren am 16. Februar 1821 in Hamburg studierte er in Berlin Philologie, Geographie und Geschichte und wurde 1844 mit einer Abhandlung über die Handelsbeziehungen des antiken Korinth promoviert. Dem Mittelmeerbecken als Lebensraum und Ausgangsgebiet vielfältiger kultureller und historischer Entwicklungen galt sein besonderes Interesse, dem er 1845 bis 1847 auf seiner ersten Reise durch Spanien, die Maghreb-Länder, Libyen, Ägypten, Nubien, Palästina, Kleinasien und Griechenland nachging. Sein eigentliches Lebenswerk jedoch, das ihm sein weltweites Ansehen als Afrika-Forscher eintrug, begründete er mit seiner "großen Reise" durch Sahara und Sudan, die er von 1850 bis 1855 im Auftrag der britischen Regierung unternahm. Ihre Ergebnisse wurden bereits 1857 in einem fünfbändigen, reich bebilderten Werk zugleich in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht.

Trotz seiner international anerkannten wissenschaftlichen Leistungen blieb ihm ein Lehrstuhl lange versagt, nicht zuletzt, weil er – entgegen dem Denken seiner Zeit – Afrika "Geschichtlichkeit" zuerkannte. Sein Werk, das vor dem Hintergrund der eigenen tiefen Verwurzelung in der abendländisch-antiken Welt ohne jeden kolonialen Dünkel den Eigenwert afrikanischer Kultur herausstellt, baut Brücken zwischen den Kontinenten und genießt als authentisches Zeugnis vorkolonialer Kultur und Geschichte besonders in Westafrika große Wertschätzung. Zugleich ist seine fachübergreifende wissenschaftliche Sicht der Zusammenhänge zwischen Mensch und Umwelt auch für heutige interdisziplinäre Forschungen in Afrika richtungsweisend.

"Kein Forscher hat soviel wie Barth dafür geleistet, von Afrika ein gleichzeitig wissenschaftlich fundiertes und von Sympathie getragenes Bild zu vermitteln.
(Joseph Ki-Zerbo )

"Mit seinen detaillierten Schilderungen ... schloß er uns einen wichtigen Weltteil auf, der in der zusammenwachsenden Welt heute zu einem nahen Nachbarn geworden ist."
(Richard von Weizsäcker )

Heinrich Barths große Expedition durch Sahara und Sahel

Im Jahr 1849 schloß sich Heinrich Barth einer britischen Expedition zum Tschadsee an, deren Ziel es war, engere Beziehungen zu dem Reich Bornu zu knüpfen, den Sklavenhandel durch die Sahara zu unterbinden und das Gebiet wissenschaftlich zu erforschen. Seine fünfjährige Reise, bei der er fast 20 000 km zurücklegte, führte ihn zu den Tuareg, nach Bornu, nach Nordkamerun und zuletzt in die alte Karawanenmetropole Timbuktu. Barths drei Begleiter starben im Verlauf der Expedition, und auch Barth wurde in Deutschland lange Zeit für tot gehalten.

Heinrich Barths 3.500-seitiges Werk "Reisen und Entdeckungen in Nord- und Centralafrika, in den Jahren 1849 bis 1855" ist die bedeutendste Einzelleistung der Afrikaforschung im 19. Jahrhundert. Sein Bericht birgt lange Exkurse über einzelne Völker und Regionen, eine Fülle von Angaben über Sprachen, Sitten, politische Institutionen und über den afrikanischen Islam. Er gilt bis heute in Fachkreisen als unschätzbare Quelle für die Geschichte Nord- und Westafrikas.

"Ich bin niemals weiter vorgedrungen, ohne zu wissen, dass ich hinter mir einen aufrichtigen Freund liess." (Barth 1857, I: XIII)

Heinrich Barth in Timbuktu

Heinrich Barth lebte ein halbes Jahr in Timbuktu und in der näheren Umgebung der Stadt. In dieser Zeit sammelte er Informationen über Leben, Sitten, Geschichte und Sprache der Tuareg. Dabei stand er unter persönlichem Schutz des Scheikh al-Baqqai, mit dem ihn bald eine tiefe Freundschaft verband. Der Muslim schätzte das Gespräch mit dem Christen und erlaubte Barth Einsicht in wertvolle Handschriften, vor allem in Chroniken, welche die Geschichte des Sudan enthielten und Barth in seiner Überzeugung bestärkten, daß Afrika kein geschichtsloser Kontinent ist. AI-Baqqai stellte Barth auch das Haus zur Verfügung, das heute als Gedenkstätte des großen Afrikareisenden dient.

 

"[Timbuktu war] der berühmte Sitz mohammedanischer Gelehrsamkeit, der Mittelpunkt religiösen Lebens; keine Stadt des Reichs besaß so stattliche Moscheen, keine überhaupt so schöne und massive Gebäude. [... ] Wie groß aber der Einfluß war, den Timbuktu als Sitz der Intelligenz beanspruchte, geht schon daraus hervor, daß der Tumbo-koy oder Statthalter, wie es scheint, stets ein 'Faki', d.h. ein gelehrter Mann, sein mußte." (Barth 1860, II:281)

Heinrich Barth und afrikanische Kulturen

Heinrich Barth war bereit, andere Kulturen und Lebensweisen anzuerkennen, wenngleich er zuweilen aus seiner europäischen Sicht Verbesserungsvorschläge machte. Er war kein teilnahmsloser Beobachter, sondern empörte sich über die Grausamkeit, mit der Menschen gegen andere vorgingen, etwa bei Sklavenjagden. Vor allem aber betrachtete er den europäischen Einfluß in Afrika mit größter Skepsis und träumte sogar davon, an der Spitze eines panafrikanischen Heeres gegen die europäischen Kolonialmächte mitzureiten. Kein anderer Afrikaforscher jener Zeit hat sich derartig radikal auf die Seite der Afrikaner gestellt wie Heinrich Barth. 

Im Laufe seiner fünfjährigen Afrikareise gewann er viele Freunde, ohne deren ideelle und materielle Hilfe seine Unternehmung nicht möglich gewesen wäre, und auch von heutigen afrikanischen Wissenschaftlern werden Barth und seine Leistungen sehr geschätzt.

"Wer unter Völkerschaften des verschiedensten Charakters und der verschiedensten Glaubensformen gelebt hat und bei allen in ihrer Weise treffliche Menschen gefunden hat, der wird sich vor der Einseitigkeit der Anschauung menschlicher Lebensverhältnisse bewahren." (Barth 1859)

Heinrich Barth und die Geographie

Heinrich Barths Reise fand in einer Zeit statt, in der sich die europäische Geographie mit der Suche nach den Nilquellen, der Frage nach der Existenz einer afrikanischen Seenplatte und schneebedeckter Berge unter dem Äquator beschäftigte. Barths Interesse galt jedoch mehr der Frage, wie eine Landschaft ihre Einwohner und deren Lebensweise prägt, ein Thema mit dem sich heute die kulturökologische Forschung befaßt. Barth beschäftigte sich mit Geomorphologie, Klimakunde und Hydrographie, mit Siedlungs-, Wirtschafts- und Verkehrsgeographie. Viele der von ihm bereisten Gebiete waren der damaligen europäischen Wissenschaft unbekannt, und erst mit Hilfe seiner detaillierten Kartenskizzen und Wegbeschreibungen konnten große weiße Gebiete der Petermann'schen Afrikakarten mit Landschaftsdaten gefüllt werden. Barths Verdienst ist die wissenschaftliche Erforschung von Teilen der heutigen Republik Niger, Nigerias, des Südtschad und Nordkameruns.

"Der Leser wird, auch ohne daß ich es hier ausspreche, bald meine Art der Anschauung wahrnehmen. Es ist der historische Zusammenhang des Menschen mit der reichen Gliederung der Erdoberfläche." (Barth 1857, I: XVII)

Heinrich Barth und die Ethnologie

Heinrich Barths großes Reisewerk liefert mit seinen detaillierten Beschreibungen eine Fülle an ethnographischem Material zu Nord- und Westafrika. Barth interessierte sich für Siedlungsmuster, für den Einfluß und die Bedeutung politischer Ämter, für Handels- und Wirtschaftsstrukturen, für Handwerk und Kleidung, für Nahrung und Medizin und für die Geschichte der von ihm bereisten Gebiete. Seine genauen Skizzen überliefern uns ein zuverlässiges Bild der materiellen Kultur Nord- und Westafrikas Mitte des 19. Jahrhunderts.

Mit Hilfe arabischer Quellen und mündlicher Überlieferungen stellte er Genealogien afrikanischer Herrscherhäuser auf. Im Gegensatz zu den phantasievollen Erzählungen der meisten Afrikareisenden seiner Zeit leitete Barth mit seiner nüchternen und quellenkritischen Arbeit eine neue Epoche ethnographischer Berichterstattung ein.

"Was ist belehrender für die Jugend als die Erd- und Völkerkunde in allen ihren belebenden und beseligenden Charakterzügen? Für mich selbst in der Tat ist diese Wissenschaft der Inbegriff, das einigende Band aller übrigen Disziplinen, und gerade wie die verschiedenen Zweige der Wissenschaft sich ihrer im Leben haftenden Wurzel immer mehr bewußt werden, muß diese Wissenschaft stets größere Bedeutung gewinnen." (Barth 1865)

Heinrich Barth und die Archäologie

Heinrich Barth, der sich auf seinen Reisen im Mittelmeerraum intensiv mit archäologischen Themen befaßte, interessierte sich auch in der Sahara für frühzeitliche Zeugnisse, die er aus seiner Kenntnis der klassischen Antike zu interpretieren versuchte. Dies gilt besonders für die Deutung der Felsbilder, die er 1850 in der nördlichen Sahara beschrieb und kopierte. Als einer der ersten Autoren attestierte er in einer Zeit, in der die Erforschung der Ur- und Frühgeschichte noch in ihren Anfängen war, den Felsbildern ein hohes Alter und deutete sie als Geschichtsquelle und Zeugnis für die frühzeitlichen Lebensformen der Saharabewohner. Auch sah er in den Felsgravierungen bereits einen Beleg für den starken Klimawandel des saharischen Raums in den letzten Jahrtausenden.

"Kaum hatten wir hier unser Zelt aufgeschlagen, als wir fanden, dass das Thal einige bemerkenswerte Skulpturen [Gravierungen] enthielt, wlche unserer besondern Aufmerksamkeit werht waren." (Barth 1857: I: 210)

Heinrich Barth und Geschichtsschreibung

Nach eigener Aussage war Barth vor allem an der Geschichte Afrikas interessiert. Auf diesem Gebiet leistete er Pionierarbeit. Entgegen der gängigen Lehre seiner Zeit erkannte Barth, daß Afrika nicht geschichtslos war und daß die Erforschung der Weltgeschichte nicht ohne die der afrikanischen Geschichte betrieben werden konnte. Er untersuchte die Vergangenheit des Kontinents mit Hilfe unterschiedlichster Methoden – von der vergleichenden Sprachwissenschaft über das Studium arabischer Manuskripte und mündlicher Überlieferung bis hin zur Interpretation von Felsbildern.

Sein revolutionärer methodischer Ansatz machte Barth zu einem der bedeutendsten Historiker des 19. Jahrhunderts, brachte ihn aber zugleich in Konflikt zu vielen seiner europäischen Kollegen. Die heutige Wissenschaft arbeitet auf dem Gebiet der afrikanischen Geschichte mit den gleichen Methoden, ohne sich ihres großen Vorgängers immer bewußt zu sein.

"Denn auch die Völkerbewegungen Central-Afrika's haben ihre Geschichte, und nur indem sie in das Gesammtgebilde der Geschichte der Menschheit eintreten, kann das letztere sich dem Abschluss nähern." (Barth1857, II: 82)

Heinrich Barth und die Sprachwissenschaft

Durch sein Studium der Sprachwissenschaft war Heinrich Barth vertraut mit den Methoden der historischen Sprachforschung. Er übertrug diese auf die afrikanischen Sprachen, die er während seiner Reise aufgenommen hatte. Barth sprach neben Englisch, Französisch und Arabisch mehrere Dialekte der Tuareg-Sprache, Kanuri, die Staatssprache des Bornu-Reiches, Haussa, die wichtigste Verkehrssprache Westafrikas, und beherrschte auch Songhai und Fulani, die Sprache der Fulbe. Ferner sammelte er umfangreiche Vokabularien zu neun westafrikanischen Sprachen, mit deren Hilfe er Sprachverwandtschaften feststellte und historische Verbindungen zwischen einzelnen Völkern aufzeigte. Diese wissenschaftlichen Methoden waren für die Mitte des 19. Jahrhunderts revolutionär, so daß Barth zu Recht als der eigentliche Begründer der wissenschaftlichen Sprachforschung in Afrika gilt.

"Jeder der fremde Länder besucht hat, weiß, wie unendlich leichter man sich da deren Sprache aneignet, als im langweiligen Studium ohne Anhalt daheim." (Barth 1862)

Heinrich Barth und der Islam

Heinrich Barth hegte eine für seine Zeit ungewöhnliche Sympathie für den Islam, den er als eine der großen Weltreligionen erkannte. Schon als Gymnasiast lernte er Arabisch, und die erste Reise nach Beendigung seines Studiums führte ihn in den islamischen Mittelmeerraum. Durch Afrika reiste Barth unter dem Pseudonym Abd al-Karim (Diener des Allerhöchsten). Er sammelte Informationen über die Geschichte des afrikanischen Islam, der weite Gebiete des Sahel entscheidend geprägt hatte. Vor allem suchte Barth dort das Gespräch mit islamischen Gelehrten, und er hat einige Charakterbilder hinterlassen, die zu den ergreifendsten Schilderungen europäischer Reisender über außereuropäische Kulturen gehören. Mit dem bedeutendsten Korangelehrten Westafrikas, dem Scheikh al-Baqqai in Timbuktu, verband ihn eine intellektuelle Freundschaft. Als einziger Afrikareisender lehnte Heinrich Barth in einer Zeit des fanatischen Anti-Islamismus in Europa die Missionstätigkeit der christlichen Kirchen ab.

"Ich wies ferner darauf hin, wie wir bei dem Glauben an einen und denselben Gott trotz der Verschiedenheit unserer Propheten und einiger geringen Abweichungen in unseren Sitten denselben religiösen Grundsätzen folgten, so daß wir einander näher standen, als er [Auab] glaubte, und wohl gute Freunde sein könnten." (Barth 1860, II: 307)

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